SPARK CONVERSATIONS

Maß-Nehmen: Die Kunst des Schneiderns
Im Gespräch mit Rudolf Niedersüss

Von Mark Alexander Grübbeling 

19. November 2025 

© Kniže & Comp/ Atelier Olschinsky

Oscar Kokoschka bezahlte hier seine Anzüge mit Gemälden und Marlene Dietrich ließ sich ihre Fracks hier schneidern. Seit 1858 ist KNIZE ein Synonym für hohe Schneiderkunst. Und seit 1976 führt Rudolf Niedersüss das Kaufgeschäft am Graben. Seine Frack-Maßschneiderei ist immaterialles UNESCO Weltkulturerbe. Der Salon ist von Adolf Loos gestaltet worden und bis heute fast unverändert. Hier kauft man also ein Stück Kunst- und Kulturgeschichte. Und man kommt nicht aus dem Staunen raus, wenn der Grandseigneur Rudolf Niedersüss anfängt aus dem Nähkästchen zu plaudern. Ein Mann, der sie alle kannte und kennt und seiner Kunst dabei immer treu geblieben ist. Im Gespräch über Stilfragen, Wiener Bälle und Kunsthandwerk.

SPARK Art Fair: Herr Niedersüss, ich erinnere mich als wäre es gestern gewesen. Als ich beschloß nach Wien zu ziehen war mir klar, dass ich einen Frack benötige – von KNIZE. Als ich hier also an einem grauen Novembertag ankam ging ich direkt zu Ihnen und beauftragte Sie. Es war ein magisches Erlebnis und eine Erinnerung, die ich in meinem goldenen Buch der sonnigen Tage niedergeschrieben und aufbewart habe. Sie führen ein Haus, dessen Frack-Maßschneiderei seit 2022 zum immateriellen UNESCO-Kulturerbe zählt. Wo endet bei ihnen das Handwerk und wo beginnt die Kunst?

Rudolf Niedersüss: Es endet keines von beidem. Das, was wir machen, ist Handwerk und Kunst gleichzeitig. Sozusagen Handwerkskunst.

© Kniže & Comp/ Atelier Olschinsky
© Kniže & Comp/ Atelier Olschinsky

SPARK Art Fair: Kunst thematisiert oft Fragen um das Unfertige, das Flüchtige, das Fragile, die Provokation. Ihr Anspruch ist das Gegenteil: Perfektion und Dauerhaftigkeit. Ist dies ein Gegensatz?

Rudolf Niedersüss: Die zeitgenössische Kunst ist eine Kunst, die sich nicht sofort offenbart, sondern die man sich erarbeiten und verstehen lernen muss. Was wir machen ist eine Kunst, die nicht vom Betrachter oder Träger erarbeitet werden muss, sondern offensichtlich ist.

SPARK Art Fair: Was macht ein guten Schneider und Frack aus?

© Kniže & Comp/ Atelier Olschinsky

Rudolf Niedersüss: Wenn er wirklich weiß, wie der Frack sein muss und dies auch umsetzen kann. Es geht beim Frack im Übrigen nicht nur um das Kleidungsstück, sondern auch um die Kultur, wie und wann man ihn trägt, um das ganze Drumherum.

SPARK Art Fair: Wien ist die Stadt der Kultur. Was muss man gesehen haben?

Rudolf Niedersüss: Man sollte unbedingt, meiner Meinung nach, die vier wichtigsten Kirchen gesehen haben: Den Stephansdom, die Karlskirche, die Peterskirche und meine Lieblingskirche, in der ich auch immer wieder meine (gleiche) Frau geheiratet habe, die Jesuitenkirche, die ist wirklich besonders schön.

SPARK Art Fair: Ich gratuliere noch einmal zum Hochzeitstag! Für die hoffnungslosen Romatiker:innen unter den Leser:innen: Was macht Ihrer Meinung nach einen eleganten Herren aus?

Rudolf Niedersüss: Ein eleganter Herr ist gut angezogen, aber nicht auffällig.

© Kniže & Comp/ Atelier Olschinsky
© Kniže & Comp/ Atelier Olschinsky

SPARK Art Fair: KNIZE ist untrennbar mit dem Namen Adolf Loos verbunden, dessen puristische Ästhetik das Geschäft am Graben prägt. Loos war ein scharfer Kritiker der Ornamente. Wie beeinflusst dies Ihre Arbeit?

Rudolf Niedersüss: Der Anzug muss dem Kunden einfach passen. Bei uns gibt es keine zusätzlichen Spompernadeln. Er muss richtig sitzen und zum Träger passen.

SPARK Art Fair: Viele Künstler:innen arbeiten mit Materialknappheit, mit Fundstücken, mit dem Einfachen. Bei Ihnen geht es um höchste, edelste Materialien. Ist das ein eine Notwendigkeit für die Kunst des Schneiderns?

Rudolf Niedersüss: Viele Menschen denken, dass ein Anzug von Knize für sie nicht leistbar sei, das stimmt aber nicht. Wir haben tatsächlich wertvolle Materialien aber auch hochwertige, preiswerte Stoffe. Aus einem unserer günstigsten Stoffe ist der meistverkaufte Anzug, der Anzug aus Fresco.

SPARK Art Fair: Macht die kulturelle und handwerkliche Bedeutung Ihres Fracks ihn zu einem tragbaren Gesamtkunstwerk?

Rudolf Niedersüss: Der Frack ist nicht einfach nur ein Anzug, er ist auch Kulturgut. Er zeugt Respekt der Veranstaltung und ihrer Gäste. Handwerklich ist es unglaublich anspruchsvoll, einen perfekten Maßfrack zu schneidern. Nicht umsonst wurde unser Maßfrack im Jahr 2022 in die österreichische Liste des immateriellen Weltkulturerbe der UNESCO aufgenommen. Wenn Sie mich nach dem Gesamtkunstwerk fragen, ja, er verschmilzt vielleicht sogar zum Gesamtkunstwerk mit seinem Träger.

SPARK Art Fair: Sie haben gerade über die Kultur um den Frack gesprochen und wie und wann man ihn trägt. Ich trage meinen auf Bällen. Als Hanseat habe ich davon in den letzen zwei Jahren sehr viele getanzt, denn das gute Stücke musste sich ja schließlich amortisieren. Welcher Ball ist Ihr Lieblingsball in Wien?

Rudolf Niedersüss: Das ist der Techniker Cercle im Musikverein. Er ist nicht überzogen, es sind ausgesprochen nette Leute auf diesem Ball und ich treffe viele unserer Kunden dort.

SPARK Art Fair: Und welches ist Ihr Lieblingsmuseum in Wien?

Rudolf Niedersüss: Mein Lieblingsmuseum in Wien ist das Kunsthistorische Museum. Mir gefällt das imposante Gebäude, die Großzügigkeit der Räume und die ausgestellte Kunst.

SPARK Art Fair: Ich finde im Museum immer viel Inspiration. Wo finden Sie Ihre Inspiration?

Rudolf Niedersüss: Ich finde meine Inspiration am Kunden selbst und seiner Anatomie. Da weiß ich gleich, wie der Anzug sein soll. Ich brauche keine Moden oder Trends, weil wir ja sehr klassische Kleidung herstellen, die auch nach Jahren noch etwas hermacht und den Träger kleidet. Diese Art der Bekleidung ist daher auch, wie man heute sagt, sehr nachhaltig. Aber das ist eben so bei Qualität. 
 

SPARK Art Fair: Der Anzug, insbesondere der klassischeFrack, ist aber auch das Symbol der Konvention. Sehen Sie Ihr Haus als Hüter dieser Konvention oder als dessen heimlichen Avantgardisten?

Rudolf Niedersüss: Ich denke, man ist tatsächlich etwas zweigeteilt. Einerseits die Bewahrung der Konvention beim Frack, denn da ist man ja gebunden, da zelebriert man die Tradition und kann oder will auch gar nicht abweichen, und andererseits kann man bei Anzügen schon mitunter auf spezielle Wünsche des Trägers eingehen und diese für diesen umsetzen. Für einen Vorkämpfer einer geistigen Entwicklung sehe ich mich jedoch nicht. Auchnicht als jemanden, der Grenzen überschreitet. Unsere Anzüge sind jedoch so gut, dass man sie von Weitem erkennt, obwohl sie nicht auffällig sind.

© Kniže & Comp/ Atelier Olschinsky

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