SPARK CONVERSATIONS
Spilling the Tea mit Agnes Husslein-Arco
Von Mark Alexander Grübbeling
22. Oktober 2025
An einem Montag um 16:50 Uhr fahre ich in der Hanuschgasse vor und betrete die Heidi Horten Collection. Agnes Husslein-Arco bittet zum Tee. Sie erzählt mir, dass der Teesalon der Heidi Horten Collection eine Hommage an den in der Wiener Staatsoper ist. Ob sie wohl weiß, wie sehr ich den Teesalon und die Wiener Staatsoper liebe?
Mit Ende Oktober verlässt Agnes Husslein-Arco die Heidi Horten Collection. Gemeinsam blicken wir zurück auf ihr Lebenswerk und eine bemerkenswerte, ja gar unfassbare Karriere in der Kunstwelt. Als Person reiht sie sich jetzt schon nahtlos ein, in die Hall of Fame der großen Damen, die Wien und die Kulturszene dieser Stadt seit Jahrhunderten prägen und definieren.
SPARK: Frau Husslein-Arco, Sie sind seit vielen Jahren eine prägende Figur in der Kunstwelt. Was hat Sie ursprünglich zur Kunst gebracht und was fasziniert Sie bis heute daran?
Agnes Husslein-Arco: Schon als junger Mensch war ich fasziniert davon, wie Kunst unsere Wahrnehmung schärfen und Emotionen wecken kann. Diese Leidenschaft hat sicher auch mit meiner eigenen Familiengeschichte zu tun: Mein Großvater war der österreichische Maler Herbert Boeckl und ich bin in einem Umfeld aufgewachsen, in dem Kunst kein abstrakter Begriff war, sondern gelebte Realität. Mein Vater hat meine Studienwahl maßgeblich geprägt und mich ermutigt, Kunstgeschichte zu studieren. Schon während des Studiums konnte ich durch ein Elevenpraktikum in einem Auktionshaus erleben, wie greifbar Kunst sein kann – jenseits des universitären Zugangs, der mir damals sehr trocken erschienen ist. Diese Mischung aus künstlerischem Verständnis und praktischer Erfahrung hat meinen Zugang zur Kunst von Beginn an geprägt und bestimmt bis heute meinen Blick auf das, was ich tue.
SPARK: Ich bereue immer, dass ich nicht Kunstgeschichte studiert habe. Auf der einen Seite fehlt mir der akademische Zugang sehr. Auf der anderen Seite bin ich froh, wenn ich das Wirtschaftsstudium absolviere. In meiner Familie wurde immer gesammelt. Die Heidi Horten Collection ist das Zeugnis einer tiefen Sammelleidenschaft. Was treibt Menschen dazu an, Kunst zu sammeln?
Agnes Husslein-Arco: Die Gründe, Kunst zu sammeln, sind so vielfältig wie die Menschen selbst. Privatsammlungen spiegeln oft persönliche Vorlieben und Themen wider, die den Sammlern wichtig sind. Bei Heidi Horten war es vor allem der Wunsch, mit den Kunstwerken zu leben – sie täglich um sich zu haben und ihre Freude an der Kunst in den eigenen Alltag zu integrieren.
SPARK: Als ich mein Studium begonnen habe, habe ich einige Möbel von zuhause mitgenommen. Nur an Kunst hat es mir gefehlt und leere Wände erzeugen ein gewisses Unbehagen bei mir. Also zog ich los und wurde bald in einer kleinen Galerie fündig. Ich habe dort dann im Rausch drei große, recht günstige Arbeiten erstanden. Als die Dame mich fragte, ob sie die Arbeiten rahmen solle, sagte ich wie selbstverständlich: „Ja, ich bitte darum!“ Ich bestand auf Museumsglas und forderte keinen Kostenvoranschlag an. Ich dachte mir – wie teuer kann das schon sein und über Geld spricht man eben nicht. Die Rahmen haben mich damals 3 Monate meiner Alimente gekostet, aber es hang Kunst an der Wand und ich war glücklich.
Die Heidi Horten Collection umfasst Werke von der Klassischen Moderne bis zur Gegenwart. Wie entsteht eine solche Bandbreite und gab es von Anfang an eine klare Vision für den Aufbau der Sammlung?
Agnes Husslein-Arco: Die Sammlung wuchs organisch über Jahrzehnte, immer mit dem Gedanken, sie in das private Lebensumfeld der Sammlerin zu integrieren. Kunsthistorische Bedeutung erhielt die Sammlung in jenem Moment, als wir bei einer Auktion in London Mitte der 1990er Jahre auf einen Schlag rund 20 Ikonen der modernen und zeitgenössischen Kunst ersteigern konnten – es war für uns beide ein Rausch der Emotionen, denn ich war telefonisch mit Heidi Horten verbunden und jedes Mal als wir den Zuschlag für ein Werk erhielten, war es ein kleiner Höhepunkt. Heidi Horten folgte beim Aufbau ihrer Sammlung keiner starren Linie, sondern einem feinen Gespür für Qualität und Relevanz. Als ihre Beraterin behielt ich natürlich stets den Kunstmarkt im Blick und machte gezielte Vorschläge – ob thematisch passend oder kunsthistorisch bedeutsam. So entstand eine in Österreich wirklich einzigartige Sammlung internationaler Meisterwerke.
SPARK: Gibt es ein bestimmtes Kunstwerk in der Heidi Horten Collection, das Ihnen besonders am Herzen liegt oder eine besondere Geschichte für Sie birgt?
Agnes Husslein-Arco: Ein einzelnes Lieblingswerk zu nennen, ist unmöglich für mich – die Sammlung vereint zu viele Werke von großer kunsthistorischer Bedeutung. Von der wunderbaren Seenlandschaft Gustav Klimts über Schlüsselwerke des Expressionismus oder herausragenden Arbeiten der Nachkriegsavantgarde bis zu Warhols Ikonen erzählt jedes Werk eine eigene Geschichte und markiert wichtige Wendepunkte der Kunstgeschichte. Die wahre Faszination liegt für mich im Zusammenspiel dieser Arbeiten und in den immer neuen Dialogen, die sie miteinander nun im musealen Kontext eingehen.
SPARK: Welche Rolle spielten Sie als Direktorin beim weiteren Aufbau und der Entwicklung der Sammlung? Wie balancieren Sie die Bewahrung des Bestehenden mit der Öffnung für Neues?
Agnes Husslein-Arco: Als Direktorin ist es für mich essenziell, am Puls der Zeit zu sein – aktuelle Entwicklungen in der Kunstszene zu verfolgen, mich mit Künstler:innen, Kurator:innen, Sammler:innen und Galerist:innen auszutauschen und neue Arbeiten im Original zu sehen. Das erfordert viel Energie, denn der Kunstmarkt spielt sich an vielen Orten gleichzeitig ab. In den letzten Jahren lag ein besonderer Fokus darauf, weibliche Künstlerinnen aufzunehmen und zu fördern, die bisher in der Sammlung unterrepräsentiert waren, und zugleich gezielt Werke zu erwerben, die die bestehenden Stärken der Sammlung sinnvoll ergänzen. So gelingt die Balance zwischen Bewahrung und Weiterentwicklung.
SPARK: Sammeln Sie auch privat Kunst?
Agnes Husslein-Arco: Ja, seit vielen Jahren – und es ist mir wichtig, mich täglich mit Kunst zu umgeben. Für mich ist sie nicht nur ein Arbeitsfeld, sondern eine persönliche Leidenschaft, die mich täglich inspiriert.
SPARK: Was sind die größten Herausforderungen beim Aufbau und der Pflege einer so umfangreichen Privatsammlung?
Agnes Husslein-Arco: Sobald eine Privatsammlung eine gewisse Dimension erreicht, erfordert sie eine professionelle Pflege. Dazu gehören eine lückenlose Inventarisierung, die regelmäßige Kontrolle des Bestands und eine kontinuierliche Qualitätssicherung. Ebenso ist es essenziell, die Provenienzen der Werke sorgfältig zu prüfen, die künstlerische Entwicklung der einzelnen Positionen weiterhin zu verfolgen und die speziellen Dynamiken des Kunstmarktes zu verstehen.
SPARK: Welchen Rat würden Sie jemandem geben, der mit dem Sammeln von Kunst beginnen möchte?
Agnes Husslein-Arco: Das Wichtigste ist, Sehen zu lernen – so oft und so viel wie möglich: Auf Kunstmessen, in Ausstellungen, in Galerien, in Ateliers. Nur wer sich intensiv mit Kunst auseinandersetzt, entdeckt, was ihn oder sie persönlich berührt und was Qualität ausmacht. Genau das sollte die Grundlage jeder privaten Sammlung sein – denn nur so entsteht etwas Nachhaltiges.
SPARK: Gibt es eine bestimmte Ausstellung, die Sie in letzter Zeit besonders beeindruckt hat, und was hat Sie daran fasziniert?
Agnes Husslein-Arco: Besonders beeindruckt hat mich die Ausstellung von Anselm Kiefer im Palazzo Ducale in Venedig vor drei Jahren. Seine monumentalen Werke im Dialog mit der historischen Architektur haben eine unglaubliche Wucht entfaltet – intellektuell wie emotional. Und Sie?
SPARK: Bei mir war es die Ausstellung September and the Lions von Álvaro Urbano. Ich betrat die Galerie und freute mich zuerst über etwas Grün im grauen Berlin. Später, mit dem Lesen der Pressemitteilung, habe ich erst verstanden und mich gefühlt, als würde ich eine Zeitreise in einen anderen Lebensabschnitt unternehmen. Ich stand plötzlich wieder in meiner Jugend in Berlin.
Wenn Kunst die Fähigkeit hat, uns zu transformieren oder unseren Blick auf die Welt zu verändern: Liegt ihre wahre Macht in ihrer ästhetischen Schönheit, ihrer Fähigkeit zu provozieren, oder in ihrer Rolle als Spiegel unserer Gesellschaft?
Agnes Husslein-Arco: Die Wirkung liegt im Zusammenspiel. Schönheit öffnet, Provokation stört, der Spiegel ordnet – gemeinsam können sie unseren Blick und unsere Haltung verändern.
SPARK: Wie finden Sie persönlich einen Ausgleich in Ihrem anspruchsvollen Berufsalltag? Gibt es Rituale oder Hobbys, die Ihnen helfen, den Kopf freizubekommen?
Agnes Husslein-Arco: Der wichtigste Ausgleich ist für mich Zeit mit meiner Familie, meinen Enkeln und unseren Hunden zu verbringen – am liebsten in unserem Haus in Kärnten, am wunderschönen Wörthersee. Dort finde ich Ruhe, und bekomme den Abstand, der es mir ermöglicht, mit frischem Blick in den Museumsalltag zurückzukehren.
SPARK: Und wenn Sie in Wien sind, was ist ihr Lieblingsort in Wien?
Agnes Husslein-Arco: Da gibt es einige – neben dem Stephansdom finde ich die wunderbaren Hinterhäuser, wie das Deutschordenshaus im 1. Bezirk großartig.
SPARK: Sprechen wir noch einmal über die Kunst: Inwiefern ist der Wert eines Kunstwerks – sei es monetär, emotional oder kulturell – eine kollektive Konstruktion unserer Gesellschaft und inwieweit ein inhärentes Merkmal des Objekts selbst?
Agnes Husslein-Arco: Wert ist beides: im Werk angelegt und gesellschaftlich verhandelt. Material, Meisterschaft, und Seltenheit verleihen kulturellen Wert; Diskurse, Provenienz und Sichtbarkeit beeinflussen Bedeutung und Preis. Im Museum zeigen wir diesen Prozess – in dem wir Kontexte herstellen, Vergleiche setzen und Qualität als Maßstab nehmen.
SPARK: Inwiefern sind Kunstsammlungen – sowohl öffentliche als auch private – nicht nur Archive der menschlichen Kreativität, sondern auch Spiegelbilder der Machtstrukturen und Werte ihrer Zeit?
Agnes Husslein-Arco: Sammlungen sind Entscheidungen in Serie: Sie zeigen, was gilt – und was übersehen wurde. Öffentliche Häuser haben Mandat, private Tempo; beide brauchen Transparenz und Korrektur.
SPARK: In meiner Familie sehe ich, dass Kunstsammlungen über eine Generation hinaus überdauern können. Ars longa, vita brevis. Unsere Sammlungen sind die Spiegel unserer Geschichten, das Echo von dem, der sie einst erwarb. Dann werden sie vererbt, neue Verbindungen und Kontexte entstehen, ein Werk hängt nun an einem anderen Ort und tritt in einen neuen Dialog. Manchmal funktioniert das gut und ein Werk erlebt eine Metamorphose, einen zweiten oder dritten Frühling. Manchmal ist es aber auch fehl am Platz und ich denke mir, diese rote Arbeit gehört doch eigentlich in Opas Fernsehzimmer. Welche Verantwortung tragen wir als Hüter:innen der Kunst, für die Botschaften, die sie in die Zukunft tragen?
Agnes Husslein-Arco: Hüten heißt bewahren, erforschen, offenlegen – und Zugänge schaffen, analog wie digital. Keine bestimmte Erzählung festigen, sondern Fragen mitgeben. Ars longa verpflichtet: Verantwortung vor Besitz.

Agnes Husslein-Arco
Kunsthistorikerin und Museumsdirektorin Heidi Horten Collection

Mark Alexander Grübbeling
Communcation & Social Media SPARK Art Fair Vienna
