SPARK CONVERSATIONS

Schöpfung, Kunst und Musik: Ein Gespräch mit Christian Hauer

Von Mark Alexander Grübbeling 

10. Oktober 2025 

Christian Hauer und Dania Kwizda-Dejanoff © SPARK Art Fair

Wien birgt oft Überraschungen. Unscheinbar eröffnet sich die Welt von Christian Hauer auf den ersten Blick. Fernab von der Ringstrasse begrüßt uns Christian Hauer. Er führt uns über einen schmalen Gang im 3. Stock zu seiner Sammlung. Er biegt links ab und öffnet eine graue Wohnungstür und plötzlich halten wir den Atem an und erblicken eine Sammlung, die zweifellos aus einer lebenslangen und außergewöhnlichen Leidenschaft zur Kunst entstanden sein muss.

Christian Hauer ist emeritierter Rechtsanwalt, ehemaliger Partner der Kanzlei Schönherr und im Board des mumok. Zwei große Leidenschaften teilen wir miteinander: Die Kunst und die Musik. Ein Gespräch von Beethoven bis Beuys. 

SPARK: Sehr geehrter Herr Hauer, wie lange sammeln Sie schon und mit welcher Arbeit begann diese Leidenschaft? 

Christian Hauer: Ich habe bereits nach der Matura, also Anfang der 1960er Jahre einzelne Kunstwerke gekauft. Die Ersten von einem österreichischen Bildhauer und Maler, Alfred Czerny (1934 – 2013), von dem ich im Laufe von 20 Jahren mehr als 140 Arbeiten, die meisten auf Papier, aber auch einige Kleinskulpturen, gekauft habe. Ich habe zunächst „schlampig“ gesammelt, ab der Mitte der 1970er-Jahre aber „verbindlich“, das heißt mit einem klaren Plan. 

SPARK: Ein befreundeter Künstler hat mir einmal ein Zitat von Rumi geschenkt: „Lasst die Schönheit, die wir lieben, das sein, was wir tun.“ Sie haben in unserem Gespräch eine ähnliche Philosophie ausgesprochen. Können Sie diese noch einmal erklären? Und nach welchen Kriterien sammeln Sie? 

Hauer Collection © SPARK Art Fair

Christian Hauer: Meine Sammlung besteht ganz überwiegend aus internationaler ungegenständlicher („abstrakter“) Malerei, mit vereinzelten „Kompromissen“ mit der gegenständlichen Malerei. Ich suche in der Malerei Schönheit, Harmonie und Komposition. Nicht zufällig sind dies Begriffe, die auch in der Musik von Bedeutung sind. Genaugenommen geht es in der Malerei und in der Musik um das Gleiche. In dem einen Fall nehmen wir Kunst mit den Augen und in dem anderen Fall mit den Ohren wahr, bevor das Kunstwerk in beiden Fällen das gleiche Ziel, die Seele, erreicht. Kandinsky hat das so ausgedrückt: „Jede Kunst spricht. Sie spricht nicht mit Worten. Sie spricht nicht zum Verstand. Die Sprache der Kunst ist an die Seele gerichtet, die mit ihrer Vibration antwortet“.

Kandinsky war es auch, der bereits 1910 das Manuskript seiner berühmten Abhandlung „Über das Geistige in der Kunst“ verfasst hat. Sie dürfen einmal raten, was für Kandinsky das Geistige in der Kunst ist: die Abstraktion. Seit etwa 50 Jahren gibt es für mich nichts Schöneres, nichts Erhebenderes, als ein perfekt gemaltes Bild zu betrachten, das perfekt ist, weil von ihm nichts weggenommen und ihm auch nichts hinzugefügt werden darf. 

SPARK: Was ist Kunst?

Christian Hauer: Es gibt tausende Definitionen von „Kunst“. Jene, die ich bevorzuge, ist von Bischof Isidor von Sevilla (geboren um 560), einem Verfasser einer Enzyklopädie des damals vorhandenen Wissens der Antike: „Kunst ist, was ein Künstler macht“. Was zunächst wie ein Ausweichmanöver und ein „Verschieben“ der Frage von der Kunst auf den Künstler erscheint, ist in Wirklichkeit essentiell, weil hier zwischen Künstlern und den vielen, die nur so tun, als wären sie Künstler (man denke an die zahlreichen Scharlatane) differenziert wird. 

Was ist nun ein „Künstler“? Ein Künstler ist ein schöpferischer Mensch, der ein Kunstwerk schaffen muss, als einen Akt der Selbstfindung. Er geht nicht einem „Beruf“ nach und ist nicht z.B. von 8 – 12 Uhr und von 14 – 18 Uhr Künstler, sondern er ist es immer. Kunst und Leben sind bei ihm untrennbar verbunden. Dahinter steht immer die alles entscheidende Bemühung eines kreativen Menschen, zu sich selbst zu gelangen. Ein Künstler hat das einmal sehr treffend so ausgedrückt: Man muss versuchen, einen Zustand zu erreichen, bei dem die Mitteilung, die man zu machen hat, aus einem herausspringt wie angeblich die Athene aus dem Kopf des Zeus. Kunst ist ein Weg der Erkenntnis. Es geht immer um dieselben Fragen: Wieso bin ich da, was mache ich da, wohin gehe ich?

Herbert von Karajan hat einmal über die Sängerin Mirella Freni gesagt: Die Freni singt nicht, es singt aus ihr heraus. Der Maler malt nicht, es malt aus ihm heraus. Das lässt an Georges Mathieu, einen Meister des Informel, der gestischen Abstraktion denken. Er steht vor der weißen Leinwand und hat keine Referenzpunkte oder Regeln (wie ein Porträtmaler). Es bedarf einer außerordentlichen Konzentration. Es herrscht zunächst tiefste Verzweiflung, die in höchste Euphorie übergeht, wenn er die Form – und damit sich selbst – gefunden hat.

Zoran Music hat gesagt: Ich male für mich, weil ich es muss. Es ist wie Atmen. Wenn man mir das Malen verbieten würde, würde ich ohne Luft bleiben. Das sind – zugegebenermaßen – Äußerungen von Malern, die aber wohl auf alle Künstler, einschließlich der genialen Schöpfer von Skulpturen, wie Giacometti, Brancusi oder Barbara Hepworth zutreffen dürften.

Hauer Collection © SPARK Art Fair
Cindy Sherman, Untitled # 353, 2000 © SPARK Art Fair

SPARK: Je mehr Kunst ich sehe, desto besser verstehe ich mich selbst. Manchmal sehe ich eine Arbeit und denke mir, ohne ihr vorher begegnet zu sein, das bin ich. Ich denke diese Suche und Sehnsucht nach dem Ich ist auch etwas sehr Menschliches. Gänzlich werde ich das Rätsel um mich selbst nie lösen können, aber Fragmente von dem, wer man ist und gerne wäre, und die Räume dazwischen kann ich in der Kunst finden. Wie sehen sie das?

Christian Hauer: Kunst kann man nicht „verstehen“. Die Kunst beginnt nämlich dort, wo das Verstehen aufhört. Es ist schon vorgekommen, dass Freunde meinen Kunstraum besucht und dabei erwähnt haben, dass sie am Vorabend Beethovens 7. oder 8. Symphonie gehört haben. Es sei ein großartiges, ja geradezu spirituelles Erlebnis gewesen. Und dann stehen diese Leute vor meinen abstrakten Bildern und sagen: Das versteh‘ ich nicht. Und Beethovens Symphonie haben sie „verstanden“? Was für eine Verirrung ist das! Sie beruht darauf, dass man in unserer Gesellschaft mit Bildern, die keinen benennbaren Inhalt zeigen, nichts anzufangen weiß. Die Abstraktion hat man auch nach mehr als 100 Jahren noch immer nicht in die eigenen Sehgewohnheiten aufgenommen, sie nicht zum Gegenstand der eigenen Sehkultur gemacht. 

Und man glaubt zugleich, Beethoven (oder Bruckner oder Mahler) „verstanden“ zu haben. Musik ist im Vergleich zu einem gemalten Bild viel abstrakter! Es gibt nur ein Notenblatt, von dem alles ausgeht.

Natürlich ist Musik für mich von ganz großer Bedeutung. Wie heißt es in Schuberts Lied An die Musik (Text von Franz von Schober)? Du holde Kunst, in wieviel grauen Stunden…hast du mein Herz zu warmer Lieb‘ entzunden, hast mich in eine bessre Welt entrückt!Du holde Kunst, ich danke dir dafür! Wie ich bereits erwähnt habe, geht es in der Malerei und in der Musik um das Gleiche.

Wenn ich an mein eigenes „Verständnis“ der Kunst denke, so bedeutet das immer nur mein Wissen um die Qualität (siehe oben: das „perfekte“ Bild) und den Wert von Kunst. Ganz wesentlich ist, dass ein Kunstwerk der eigenpersönliche Ausdruck seines Schöpfers sein muss, der sich idealerweise im Kunstwerk zu erkennen gibt. Dies entspricht dem §1 Urheberrechtsgesetz: Werke der Kunst sind eigentümliche geistige Schöpfungen. Dabei geht es immer um die Form und nicht um den Inhalt. Das Wie und nicht das Was ist in der Kunst entscheidend. 

Christian Hauer und Dania Kwizda-Dejanoff © SPARK Art Fair

SPARK: Oft wünsche ich mir dann, den Schöpfer der Werke kennenzulernen. Sollte man Künstler:innen kennen lernen oder zerstört das vielleicht auch manchmal den Zauber um das Fragment? 

Christian Hauer: Soll man den Schöpfer eines Werkes kennenlernen? Es kann manchmal ganz interessant sein, dem hinter dem Werk stehenden Künstler zu begegnen. Für unbedingt notwendig halte ich das nicht, vor allem dann nicht, wenn sich Betrachter eines Werkes vom Künstler eine „Erklärung“ erhoffen, um es besser „verstehen“ zu können. Dazu habe ich eine ganz klare Meinung: Jeder Künstler manifestiert sich in seinem Werk. Was er zu „sagen“ hat, teilt er im Kunstwerk mit. Ein Kunstwerk „verstehen“ kann man ohnehin nicht (siehe oben). Es ist nicht die Aufgabe des Künstlers, seinem Kunstwerk eine „Gebrauchsanleitung“ anzufügen. Wenn Künstler über ihr Werk zu viel reden, kann das irritierend sein und im Übrigen an das theoretische „Geschwurbel“ so mancher „Experten“ erinnern. Es bleibt der Kunst überlassen, sich in verständlichen, lesbaren Metaphern auszudrücken. Leider bedienen sich viele Kommentatoren einer unverständlichen Sprache, weil das Unverständliche als „elitär“ gilt. Es kann aber auch sein, dass der Künstler über sein Werk nichts oder zu wenig sagt. Dann kann er leicht (wenn auch zu Unrecht) in den Verdacht der mangelnden „Bedeutsamkeit“ oder gar Intellektualität geraten. Es ist legitim, wenn der Künstler den Standpunkt einnimmt: ich habe in meinem Kunstwerk ohnehin schon alles gesagt, es bedarf keiner weiteren Kommentierung. 

SPARK: Wie sehen Sie die Zukunft der Kunst? 

Christian Hauer: Die Tendenzen in der zeitgenössischen Kunst sind besorgniserregend. Mich irritiert vor allem, dass altüberkommene Regeln über Bord geworfen werden. Natürlich schmerzt mich (als Bildersammler) die Abwendung vom Bild („Tafelbild“) ganz besonders. Hinzu kommt die Absage an die Ästhetik, an das „Schöne“. Die Kunst von heute muss hässlich sein, wie das die Kuratorin einer Berlin-Biennale geradezu programmatisch verkündet hat: Ich werde den Besuchern den geschmäcklerischen Blick austreiben und ihnen beibringen, dass Kunst das ist, was sie niemals für Kunst halten würden. Dazu kommt das Disziplinenüberschreitende: Kunst wird immer mehr zu einem Gemenge aus Politik, Soziologie, Sozialkritik, Naturwissenschaften, Berichten über Folterungen und Femizide (usw) und einer allgegenwärtigen Multimedialität. Schon in den 1960er-Jahren verkündete Joseph Beuys, dass ihr alle Künstler seid, alles was ihr macht, ist Kunst. Der von ihm entwickelte erweiterte Kunstbegriff entwickelt sich in der heutigen Zeit immer weiter und setzt sich über alle bestehenden Grenzen hinweg. Bezeichnend für diese Tendenz sind in den letzten Jahren erschienene Sondernummern der Kunstzeitschrift KUNSTFORUM zu den Themen „Kunstverweigerungskunst“ sowie „Kunst – Nichtkunst – Nichtkunstkunst“. 

Ungeachtet dessen halte ich weiter die „Stellung“ und wende mein Interesse der Malerei, insbesondere der 1950er- und 1960er-Jahre zu, sowie den neuen abstrakten Positionen, der sogenannten Malerei nach dem Ende der Malerei. 

SPARK: Gibt es eine:n Künstler:in, die Sie besonders verehren? 

Christian Hauer: Im Bereich der ungegenständlichen Malerei bewundere ich (mit einem nicht einmal annähernden Anspruch auf Vollständigkeit) Mark Rothko, Richard Diebenkorn, Joan Mitchell, Elena Vieira da Silva, Pierre Soulages, Jean-Paul Riopelle, Hans Hartung, Sean Scully. Im Bereich der gegenständlichen Malerei natürlich Picasso und Matisse sowie Pierre Bonnard, Edvard Munch, Nicolas de Stael und den überaus originellen Mark Tansey. Bei den Skulpturen gibt es neben Giacometti, Brancusi und Hepworth zwei unglaublich geniale Meisterwerke der Marmorkunst: die Pietà von Michelangelo im Petersdom in Rom und den Cristo velato von Giuseppe Sanmartino in Neapel. Eine auf Grund der angewendeten Technik die menschliche Vorstellungskraft geradezu übersteigende Grafik ist der Kupferstich Das Schweisstuch der Veronika von Claude Mellan (1649). 

SPARK: Gerade haben wir von Künstler:innen, als die Schöpfer:innen von Kunst, gesprochen. Als die Kreation der Kultur, die uns alle begleitet. Sprechen wir zuletzt noch einmal von uns, als Menschheit. Unseren Schöpfer treffen wir vielleicht erst, gemeinsam mit Rothko, Mitchell und Picasso, im Himmel wieder. Vielleicht ist da aber auch nichts und unsere Existenz ist ein purer Zufall, nur ein kleiner Moment in einem schier unendlichen Universum. Schlussendlich sind wir nämlich doch nur Staub und gehen zum Staub zurück. Aber vielleicht ist da mehr? Glauben Sie, dass es einen Gott gibt? 

Christian Hauer: Ich weiß es nicht. Dies läuft auf die Frage hinaus, ob der Mensch seine Existenz einer Reihe chaotischer Zufälle oder dem Wirken eines Schöpfergottes zu verdanken hat. Sind – bloß beispielsweise – die etwa 270 Knochen des menschlichen Skeletts, die in ihrem Zusammenspiel wie eine Meisterleistung der Hochtechnologie funktionieren, und sind die 75 Billionen menschlicher Zellen des menschlichen Körpers, die zu unterschiedlichen Zelltypen gehören und jeweils (lebensnotwendige) unterschiedliche Funktionen ausüben, ein Produkt des Zufalls? Der österreichische Physiker Walter Thirring hat dazu gesagt: Das bedürfe aber schon einer Vielzahl von Zufällen. Lässt sich das Leben nur strikt über die physikalischen Wissenschaften erklären – oder gibt es da noch etwas? Weil unser Thema die Kunst ist: Nikolaus Harnoncourt hat gesagt: Die Kunst ist die Nabelschnur, die uns mit dem Göttlichen verbindet. Ich habe einmal in einer Abendgesellschaft die Ansicht vertreten, dass ich nichts weiß, aber eher dahin tendiere, dass es einen Schöpfergott gibt. Christian Thielemann, der an diesem Abend anwesend war, hat mir bei der Verabschiedung gesagt: Sie haben völlig recht.
Bruckners 9. wäre ohne einen Schöpfergott undenkbar. 

Christian Hauer

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